REDEN

LAUDATIO IN PRATTELN

DR. DODO BRINKMANN
KUNSTMUSEUM BASEL, 2. MAI 2012

Barnett Newman (1905–70), einer der amerikanischen Pioniere der abstrakten Malerei, hat einmal bei seinen Bildern zwischen «object matter» und «subject matter» unterschieden, also zwischen dargestellten, auf Anhieb wiedererkennbaren Bildgegenständen und den eigentlichen Bildthemen. Wendet man diese Unterscheidung auf die hier gezeigte Auswahl jüngster Werke von Jan Janczak an, so zeugt diese auch im Vergleich zu früheren Ausstellungen in Sachen «object matter» von einer Verknappung, einer Reduktion oder Konzentration auf das Wesentliche, auf diejenigen Sujets, die für den Künstler im Mittelpunkt seines Schaffens stehen. Wir begegnen darin menschlichen Gestalten, fast immer sitzend in Halb- oder Dreiviertelfigur gegeben, als unser in strenger Frontalität angeordnetes Gegenüber. Manchmal gehen ihre Knie leicht zur Seite, eine Körperwendung aus der Frontalen andeutend; doch auch dann schauen uns ihre Gesichter mit grossen Augen unverwandt direkt an. Überwiegend ist es eine einzelne Figur, maximal sind es drei, vier oder fünf. Wenn ausnahmsweise einmal eine ganze Figur von Kopf bis Fuss im Bild auftritt, so hat es damit eine besondere, oft im wahrsten Sinne des Wortes verquere Bewandtnis. Da liegt eine Frau quer im Schoss eines Geigers; ja sie scheint erst der Grund dafür zu sein, dass dieses Gemälde als starkes Querformat aus der Rolle fällt. Es ist eine Reminiszenz an ein Sujet mit einer langen Tradition in der Malereigeschichte, die bis ins venezianische Cinquecento zurückreicht, hin zu Tizians diversen Venusdarstellungen mit Orgelspielern und anderen Musikern. Oder ein Paar sitzt als Kniestück Modell; die Frau hält eine Katze, der Mann verwunderlicherweise eine liegende zweite Frau im Schoss. Noch eine Entschuldigung gibt es, die ganze Figuren rechtfertigt, dann nämlich, wenn sie Tänzer und Ballerinen sind, die ihre Beine brauchen. Aber sie bleiben Ausnahme.

Es sind Figuren ein und desselben Schlages, alle einem zart gebauten, sehr androgynen Geschlecht entstammend. Nach kurzer Betrachtung erkennen wir die Männer an ihren Krawatten und den riesigen, farblich abweichenden Revers ihrer Jacketts, die Frauen an ihren Frisuren, oft an ihren Brüsten, bedeckt oder als gewagtes Dekolleté in Erscheinung tretend. Den Hintergrund bilden lebhafte Muster, an Tapeten erinnernd, im Wechsel oder in Kombination mit weiteren Menschenfiguren, die wir ihrer Anzahl, ihrer Kleinheit und ihrer strengen Anordnung halber nicht als Individuen, sondern als Masse empfinden. Fast immer sind sie mindestens in Reihen übereinander, öfters sogar in einem vertikalen und horizontalen Raster angeordnet – manchmal denkt man an Zuschauerränge eines Theaters, manchmal an Bahneneinteilungen im öffentlichen Verkehrsraum, manchmal an endlos durchfensterte Hochhausfassaden (besonders wenn in einem einzigen Fenster Licht brennt wie auf dem Geigerbild), manchmal an die Ordnung der Setzkästen, in denen wir Dinge sammeln.

Das war es schon, im Wesentlichen. Kein Stillleben, keine Natur – bis auf eine sehr limitierte Auswahl an Tieren –, keine Landschaft, nur auf einem Werk ein Haus und eine Pappel, beide höchst windschief, was zu den vorbeiziehenden Wolken passt. Aber das Haus und der Baum stehen auf der zwar noch gerade vielleicht erdfarbenen, aber unnatürlicherweise spiegelglatten Querschnittsfläche eines roten Zylinders, dessen Aussenhaut wieder eine jener mehrgeschossigen und dabei gegenläufigen Männerprozessionen bedeckt, die wir schon kennen. Und Zylinder und Landschaftsandeutung sind nicht mehr als Attribute zu jener sitzenden Frau in Dreiviertelfigur, die dieses Hinterglasbild dominiert. Die Farben deuten das an – das Rot und Gelb des Zylinders, die hinüberragen in die Schultern des Oberteils und den Ohrring, ja sogar die Brüste der Dame, das Blau der Wolken sekundiert dem hellblauen Grundton ihres blütengemusterten Kleids. Die Frisur der Hauptfigur scheint den gleichen Windböen ausgesetzt wie Haus und Baum, ja die Existenz der letzteren scheint geradezu darauf angelegt zu sein, uns diese Sturmfrisur erklärlich zu machen.

In Sachen «object matter» verzeichnen wir also eine Beschränkung auf das Notwendigste. Diese Elemente sind Jan Janczak offenbar unverzichtbar, wenn er nach über einem halben Jahrhundert erfolgreichen bildnerischen Schaffens daran geht, sein künstlerisches Universum zu bevölkern. Er tut dies, so scheint mir, nicht nur konzentrierter, sondern vielleicht auch ergebnisoffener als früher. Bildtitel, die er früher, andeutend, bisweilen kryptisch, aber immerhin geliefert hat, fehlen nunmehr. Umso reicher fällt der Ertrag an «subject matter» aus: Jede dieser mit dem im Prinzip gleichen Figurenrepertoire arbeitenden, aus dem gleichen Fundus schöpfenden – ich benutze hier nicht zufällig Begriffe des Theaters – Kompositionen erzählt ohne Zweifel eine eigene Geschichte, jedenfalls eine andere als das Nachbarbild und als jedes andere Bild in der Ausstellung. Und die Offenheit der Interpretation führt wie ein Spiegelkabinett möglicherweise noch zu einer unendlichen Vielfalt an Lesarten. «Missverstehe mich nicht», lässt Franz Kafka seinen Geistlichen sagen, «ich zeige dir nur die Meinungen, die darüber bestehen. Du musst nicht zuviel auf Meinungen achten. Die Schrift [wir dürfen, hier und heute, dafür einsetzen: die Malerei] ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.» Aber nicht nur in ihrer Vieldeutigkeit gemahnen diese Bilderfindungen von Jan Janczak ja tatsächlich an Kafkas «Prozess» (1914/15, EA 1925), sondern auch, wenn man sich daran erinnert, wie in dem Roman das Individuum Josef K. sich unversehens in mysteriösen Gerichtssälen einer anonymen Menschenmenge gegenüber findet. Der Einzelne und die Masse, das Individuum und die Gesellschaft, nicht nur ein Thema Kafkas, sondern das vielleicht wichtigste Generalthema von Literatur und Kunst im 20. Jahrhundert.

Die Literatur nehme ich also zu Hilfe, um mich an das Werk Jan Janczaks heranzutasten, und ich möchte dabei noch an einer anderen Stelle ansetzen. Das «Blau der Wolken» habe ich eben gesagt, und ich hätte noch präziseren können, das «Blau der Wolken vor dem weissen Grund des Himmels», wahrscheinlich ohne dass Sie mich ausgebuht hätten. Janczak hat es ja auch tatsächlich so gemalt, insofern ist meine Aussage völlig zutreffend, nur: Am wirklichen Himmel sind die Verhältnisse genau umgekehrt; die Wolken sind (mehr oder weniger) weiss, und der Himmel ist (mehr oder weniger) blau; aber umgekehrt ist es nie. Es sei denn in der Kunst.

Abgestumpft durch ein Jahrhundert Kunst voller Zumutungen fällt uns das vielleicht gar nicht mehr auf. Aber es gab einmal eine Zeit, sie ist etwas über 100 Jahre her, da wurde über diese – und zwar zufälligerweise genau diese – Diskrepanz zwischen künstlerischem, in diesem Fall wieder dichterischem, Wollen und der Wirklichkeit diskutiert. Darf man etwas beschreiben, darf man etwas malen, was für jeden mit einem einzigen Blick nach oben nachvollziehbar einfach nicht stimmt? Die Frage stellt sich in einem berühmten Austausch zwischen Stefan George und Hugo von Hofmannsthal. Jeder Student der Germanistik kennt ihn hoffentlich immer noch, denn es geht dabei um nichts weniger als um die Geburt des modernen Gedichts. George hatte nämlich 1897 («Das Jahr der Seele») den Vers verfasst:

«Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade.
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb. Das weiche grau
Von birken und von buchs. Der wind ist lau.
Die späten rosen welkten noch nicht ganz.
Erlese küsse sie und flicht den kranz.

Vergiss auch diese letzten astern nicht.
Den purpur um die ranken wilder reben.
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.»

Und Hofmannsthal schrieb 1903 (veröffentlicht1904) dazu eine Apologie in Form einer Debatte zwischen zwei Kennern – schlauer Fuchs, der er war, liess er also den Advocatus Diaboli durchaus zu Wort kommen. Hören wir seinen Interlocutor Clemens: «Es ist schön. Es atmet den Herbst. Obwohl es kühn ist, zu sagen, ‹der reinen Wolken unverhofftes Blau›, da diese Buchten von sehnsuchterregendem sommerhaften Blau ja zwischen den Wolken sind. Aber freilich nur an den Rändern reiner Wolken. Nirgends sonst auf dem ganzen verschlissenen rauhen Gefilde des herbstlichen Himmels. Goethe hätte dies ‹reiner Wolken› geliebt. Und ‹unverhofftes Blau› ist tadellos. Es ist schön. Ja, es ist der Herbst.»

Ich habe, meine Damen und Herren, die ganze erste Strophe des Gedichts zitiert, damit Sie auch Folgendes sehen bzw. hören: George brauchte das Blau. Es ist, Himmel hin, Wolken her, schliesslich sein Reimwort. Janczak malt seine blauen Wolken hinter das Plexiglas – eine abschliessend aufgetragene Schicht Weiss bildet dann gesamthaft den Hintergrund. Kunst reagiert immer – neben vielem anderen – auch auf ihre äusseren handwerklichen Bedingungen, geht auf sie ein, geht mit ihnen um. Natürlich hätte George die Wortwahl wechseln, hätte Janczak die obere Hälfte der Plexiglasplatte himmelblau eintönen können. Aber warum hätten sie sollen? «‹Unverhofftes Blau› ist tadellos. Es ist schön», lässt Hofmannsthal selbst den kritischen Clemens zugeben. Und ich weise bei dieser Gelegenheit, wo wir gerade vom Handwerk sprechen, noch auf etwas anderes hin: Janczaks Bild hat eine eigentümliche Dreidimensionalität, die darauf beruht, dass die markantesten Weisshöhungen, die im Kleid der Frau in der Hütte nun wiederum von vorn auf die Plexiglasscheibe appliziert sind, also real um deren Dicke, vielleicht 2 bis 3 mm versetzt, vor den übrigen Motiven zu schweben scheinen.

Meine Damen und Herren, ich habe soeben versucht, Ihnen unseren Künstler mittels eines literarischen Zitats aus dem Jahr 1903 nahezubringen. Sie werden mir daher nachsehen, wenn ich dasselbe jetzt auch noch mit einem Gemälde des gleichen Jahrgangs versuche. Das Gemälde heisst «Der wundersame Garten», und jeder kennt es in Polen. Es ist vielleicht das schönste Werk der Mloda Polska, der jungpolnischen Bewegung, in der bildenden Kunst, und es zeigt eine Wiese mit einer verschatteten Schneise zwischen Bäumen, erstaunlich weit in die Tiefe fluchtend, bevölkert mit zwei Frauen, die sich seltsamerweise an einer Girlande entlanghangeln in erstaunlichem perspektivischem Grössenunterschied, und einem nackten Knaben, im Gegensatz zu den Frauen badend im Sonnelicht, die Girlande auf der anderen Seite haltend. Das alles klingt schon befremdlich, aber es ist noch nicht das Erstaunlichste: Das Erstaunlichste ist eine Libelle, die riesengross und in starker Untersicht extrem verkürzt auf den Betrachter zufliegt, so extrem, dass sie weit vor dem Bild als innerhalb desselben erscheint. Flügel und Beinchen des Insekts sind zudem in Goldfarbe ausgeführt – auch dadurch platzt diese Erscheinung aus dem Bild heraus ins Jetzt des Betrachters.

Mit dem «Wundersamen Garten» von Józef Mehoffer (1869–1946) betreten wir eine stilistische Schiene, die meiner Meinung nach direkt zu Jan Janczak führt. Mit dem Begriff eines «Prächtigen Symbolismus» bzw. «Surrealismus» ist diese Schiene in etwa zu verorten. Die Strecke, die sie überbrückt, ist aber auch eine objektiv biografische: Mehoffer war einer der Lehrer von Janczaks Lehrer Zygmunt Radnicki (1894–1969), Letzterer ein etwas versponnener Neo-Impressionist.

Aber gab es nicht zwischen dem Jungen Polen (Mloda Polska) und der Nachkriegszeit noch eine andere polnische Avantgarde, die abstrakte Gemälde und Skulpturen schuf? Doch, die gab es sicher, der polnische Konstruktivismus ist zu Recht berühmt. Er verbindet sich mit den Namen von W?adys?aw Strzeminski (1893–1952) und dessen Frau Katarzyna Kobro (1898–1951). Nur findet diese Avantgarde erstens nicht in Krakau statt, sondern in Lodz, und zweitens handelt es sich dabei gewissermassen um einen russischen Import: Strzeminski und Kobro sind beide Russen, Schüler von Kasimir Malewitsch (1879–1935), die vor der stalinistischen Kulturpolitik in den 20er-Jahren nach Polen flüchten.

In Krakau aber schaute man nicht so sehr nach Lodz und auf den Konstruktivismus, sondern orientierte sich an der eigenen grossartigen Tradition der Stadt, an Jan Matejko (1838–1893), Polens berühmtestem Historienmaler, und seinen Schülern Stanislaw Wyspianski (1869–1907) und Mehoffer. Und man interessierte sich für die Volkskunst, besonders der südlich von Krakau gelegenen Karpaten.

Aus diesem übrigens bis heute nicht versiegenden (aktuell etwa bei dem 32-jährigen Jakub Julian Ziolkowski) Kraftquell der Krakauer Akademie speist sich Jan Janczaks Kunst, was andere Einflüsse natürlich nicht ausschliesst. So hat Marc Chagalls Surrealismus in Janczaks Frühwerk eine grosse Rolle gespielt, die erdige Malerei eines Chaim Soutine (1893–1943) vielleicht auch; später finden sich dann Anklänge an Victor Brauner und auch an Salvador Dali. Aber geprägt hat ihn doch unverkennbar die Krakauer Tradition. Hoffen wir und wünschen wir ihm und uns, dass es ihm noch lange vergönnt sein wird, daraus zu schöpfen!

 

LAUDATIO ZUR ÜBERGABE DER «FLAME OF PEACE»

TONY VINZENS
KUNSTGALERIE BACHLECHNER, 23. AUGUST 2008

Sehr geehrte Frau Oefferl, Herr Regierungsrat Brogli, Herr Nationalrat Füglistaller,
geschätzte Herr und Frau Bachlechner, geschätzte Gäste und Freunde, lieber Jan

Es war im Sommer des Jahres 1981. Wir warteten voller Sorge auf Jan Janczak, der nach Krakau, in seine Heimat Polen gereist war. Wir, das waren seine Frau Anna, die vierjährige Weronika, der eben erst geborene David und all die Freunde unseres Künstlers. Die Sorge trieb uns um, weil damals in den Wäldern um Warschau sowjetische Panzer aufgefahren waren. Die friedliche polnische Revolution der Solidarnosc von 1980 war in Gefahr. Jan wusste um das Risiko, nicht mehr in die Schweiz zurückkehren zu können, in die Schweiz, welche er als polnischer Künstler lieb gewonnen hatte. Das Kriegsrecht, welches die Macht der Sowjets wiederherstellen sollte, wurde aber erst im Winter des Jahres 1981 ausgerufen. Und erst Jahre später, 1989, konnte das Land dank der Perestroika Gorbatschows wieder aufatmen.

Wenn heute die Frage aufgeworfen wird, weshalb Jan January Janczak die «flame of peace» erhält, dann ist meine Einleitung ein Teil der Antwort. Die Biografie, welche ich im 1999 erschienenen Bildband «Jan Janczak – Ausgewählte Werke von 1966 bis 1999» verfasst habe, ist mit einem Zitat von Jan Janczak überschrieben: «Ich verstehe mein Werk als Protest gegen das Barbarische». Als sechsjähriger Junge wird Jan Janczak mit der «barbarischen Sache» des zweiten Weltkrieges konfrontiert: Es geht um Angst, Flucht, Ungewissheit über den Verbleib des Vaters. Der heranwachsende Jan und spätere Künstler ist Teil des Schicksals eines Volkes zwischen Freiheit und Tyrannei.

Adam Michnik hat in einem Essay geschrieben: «Polen ist ein Land wunderbarer und überraschender Ereignisse; im polnischen Kessel rühren Teufel und Engel immer abwechselnd.» In der Zwischenkriegszeit, in den Fünfzigerjahren, erlebte Janczak die Unterjochung Polens unter die Sowjetherrschaft. Interessant ist, wie Wojciech Kuczok in seinem Buch «Geschichte einer familiären Hölle» ein Bild seiner Heimat zeichnet. Elemente dieses Bildes erkenne ich auch in manchen Werken Jan Janczaks wieder. Adam Michnik fasst die Gedanken Kuczoks wie folgt zusammen: «In diesem Polen gibt es keine grossen Ideen, keine Klassenkämpfe und keine lichte Zukunft, noch gibt es Gott, Ehre und Vaterland. Dieses Polen ist ein trauriges Land trauriger und uninteressierter – in den Worten des Schriftstellers – ‹hohler› Menschen: Sie haben ihre Wurzeln und Äste, aber in ihrem Innern sind sie leer, in dieser Leere schliessen sie sich ein und kapseln sich von der Welt ab: eine Welt von ängstlicher Kleinmut, Opportunismus, Apathie und Zynismus.»

Es gibt unzählige Bilder unseres Künstlers, in denen ich dieses Polen, in welchem Jan Janczak wichtige Jahre seines künstlerischen Wirkens verbracht hat, wiedererkenne: Dieses Polen zeichnet er mit Menschen, die aneinandergereiht, ausdruckslos, ohne Visionen ihr Leben leben. Es gibt in seinem Werk aber immer auch das andere Polen, die Tradition eines Polen, das verschiedenen Kulturen, östlichen wie westlichen, Raum zur Entfaltung bietet, wo ein kreativer Dialog der Vielfalt Flügel verleiht. Dieses Polen, lichte Momente einer besseren Zukunft, eines besseren Lebens, einer optimistischen Gemeinschaft, sehe ich in manchen Werken von Jan January Janczak. Diese Visionen drückt er zum Beispiel aus in Festgelagen, im Geschichtenerzähler, in einem bunten Blumenstrauss, einem fliegenden Fisch oder in der Person des Geigers.

So hat Jan Janczak bereits vor der Zeit von Solidarnosc Zeichen gesetzt, Zeichen in dem Sinne, dass er die Möglichkeiten des Lebens, so wie er sie in sich fühlte, aufzeigte. Er träumte die Wünsche der Gesellschaft und drückte sie in seinen Bildern aus. Es war kein lauter Protest gegen das Barbarische, sondern auf Leinwand gemalte Zeichen im Kampf zur Bewahrung der Menschlichkeit unter extrem ungünstigen Bedingungen. Die unblutige Revolution der Solidarnosc im Jahre 1980 brachte dann dieses Wertvollste an die Oberfläche, was den Menschen ausmacht: Uneigennützigkeit, Toleranz, Edelmut, Freundlichkeit gegenüber anderen. Es war eine kreative Zeit im so lange unterdrückten Volke, ein Volk machte die Vision von Freiheit, Würde und Wahrheit zur Realität. Jan war so stolz auf sein Polen. Ich, wir im Westen begannen, Polen überhaupt erst richtig wahrzunehmen, dieses Land zu achten, ja zu bewundern. Die fremden Stiefel kamen aber, wie bereits erwähnt, im Dezember 1981 zurück. Die Enttäuschung, ja der Zorn über die verlorene Zeit der aufkeimenden Freiheit, über sein Polen, welches er am Ziel eines Weges sah, war bei Jan auch körperlich spürbar. Es gab für ihn damals kein Zurück mehr. Sein Lebensmittelpunkt wurde endgültig die Schweiz und seit 1981 die Stadt Wil im st.gallischen Fürstenland.

Seinen Protest gegen das Barbarische, welches sein Land einmal mehr würgte, drückte er mit der Illustration im Buch «Der rote Mohn von Monte Cassino» aus. Es ist ein Buch aus dem Jahre 1983, welches «allen Polen gewidmet ist, die im Freiheitskampf gefallen sind und den Lebenden, die weiterkämpfen». Lassen Sie mich eine kurze Sequenz aus dem Buch zitieren: «Krystyna und Wladyslaw hatten sich neben eine alte Mühle gesetzt. Sie lauschten dem Lerchenjubel, und das eintönige Rattern des Mühlrades war die Musik der Unvergänglichkeit ihrer Liebe. ‹Krysia, wenn wir verheiratet sind…› ‹Ja Wladyslaw?› Sie hatte ihn unterbrochen. ‹Krysia, wenn wir verheiratet sind, lass uns diese alte Mühle kaufen und hier gemeinsam alt werden. Ich werde den Bauern das Korn mahlen, und wir werden in stiller Einsamkeit miteinander leben.› Sie schaute ihn verwundert an und sagte: ‹Mein Gott, ich heirate einen Romantiker, einen Poeten! Liebster, was für eine poetische Liebeserklärung!› Dann verstummten die beiden für eine kurze Zeit. ‹Dein Wunsch klingt zwar schön, aber etwas altmodisch. Die Welt wird uns auch hier einholen. Und die Mühlsteine werden immer schwerer und schwerer. Lieber Wladek, wir müssen zusammen das Rad drehen. Ich möchte an Deiner Seite stehen.›»

Diese Sequenz aus dem Buch «Der rote Mohn von Monte Cassino» meine ich in manchen Werken von Jan Janczak wiederzufinden. So drückt unser Künstler die Sehnsucht des Menschen nach Zufriedenheit, nach Harmonie, nach friedlichem Miteinander aus. Es gibt aber immer auch Hinweise auf die Gefahr, dass diese Sehnsucht durch die allgegenwärtige Gewalt nicht zur Entfaltung gebracht werden kann. Und – es ist die Rolle der Frau, welche auch in den Bildern von Jan das Rad des Lebens, der Hoffnung kraftvoll mitdreht.

So wird heute die Auszeichnung «flame of peace» einem Künstler, einem Maler, unserem lieben Jan January Janczak, verliehen, eine Auszeichnung, welche er durch sein Werk zu Recht verdient. Seine Bilder weisen in ihrem Kern nämlich darauf hin – so wie es in der Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) geschrieben steht – dass Friede, wenn er nicht scheitern soll, in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert sein muss.

Im Oktober 1994 empfing die Gesellschaft für bedrohte Völker über Funk verzweifelte Hilferufe aus der belagerten ostbosnischen Stadt Srebrenica. Doch die Welt mochte die Schreie aus Srebrenica nicht hören. Am 11. Juli 1995 wurde die Stadt eingenommen, von Menschen, die nicht Brücken schlagen, sondern Brücken zerstören wollten. 8000 muslimische Bosnier wurden ermordet. Dieses Ereignis hat Jan Janczak zutiefst aufgewühlt. Seine eigene Vergangenheit hat ihn wieder eingeholt; das Barbarische wühlte in ihm und wühlte ihn auf. So aufgewühlt von der Barbarei, welche unter dem Firnis der Zivilisation immer lauert, hat er seinen Gefühlen im eindrücklichen Bild «Schrei in Bosnien» Ausdruck verliehen. Persönlich habe ich dieses Bild mit folgenden Worten begleitet:

«Das Recht des Stärkeren
ordnet eigenmächtig alles sich selbst unter,
tritt mit Füssen breite Schneisen ins Leben,
schrankenlos, gesetzlos,
und schlägt stumm den Schrei:
was sich wehrt
mit feinen Tönen,
offenen Armen,
treuen Augen
auf dem Mäanderband des Lebens.»

Professor Ernst Fuchs, Hauptvertreter der «Wiener Schule des phantastischen Realismus» schreibt zur Frage, was Kunst ist: «Kunst ist trotz ihrer Dynamik und der ihren Trägern eigenen Egozentrik immer eine Frieden stiftende Kraft. Wir wissen es, wir haben es gelernt und wir praktizieren aus dieser Kenntnis die befreiende, die heilende Kraft der Kunst. Darum muss aller Wahnsinn Kunst werden, alle Politik und jeder Wille, der sich auf die Verbesserung der Daseinsbedingungen des Menschen richtet, sollte kunstvoll sich manifestieren. Die einzig positive Revolution, die eine Chance hat, permanent den Menschen zu befreien und zu befruchten, ist das Wirken des Künstlers. Die Freiheit der Kunst ist der einzige Garant der Freiheit des Menschen; diese Freiheit ist daher auch die erste, die ein Volk gezwungen wird aufzugeben, wenn ein Tyrann kommt, es zu beherrschen.»

Malerei, Kunst gelingt, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, aus meiner Sicht deshalb immer dann besonders eindrücklich, wenn sie die Freiheit des Menschen steigert.

Adolf Muschg hat in der NZZ vom 12./13. Juli dieses Jahres geschrieben: «Kunst ist ein Spiel, das man nur recht begreift, wenn man sehen kann, dass darin mehr auf dem Spiel steht als saubere oder schmutzige Finger, nämlich das, was man in der Zeit der Aufklärung die ‹Menschlichkeit› nannte, die Humanitas, die sich zuerst im Umgang mit den Gegenständen unserer Liebe, unseres Interesses, unserer Sorgen und Ängste zeigt.»

Die Malerei von Jan Janczak bildet zuweilen, wie im Bild «Schrei in Bosnien», das Grauen der Gewalt mahnend ab, mehr aber noch verleihen seine Bilder der Hoffnung Flügel. Sie tun dies in Sinn-Bildern, in denen Jan mit Leidenschaft die Individualität menschlichen Daseins zum Ausdruck bringt. Die Auseinandersetzung mit den Bildern unseres Künstlers bereichert so unsere eigene Seelenlandschaft. Letztere wird weiter und differenzierter: sensibler. Sie macht uns auf diese Weise empfänglicher für die Seele des Gegenübers.

Ich danke allen, welche daran beteiligt sind, dass Jan January Janczak heute diese Auszeichnung erhält, insbesondere Peter-Paul De Longis, welcher leider nicht mehr unter uns weilt, ich danke Beatrice und Hanns Bachlechner sowie Herta Oefferl. Das Werk von Jan wurzelt bis heute in den Erfahrungen der «polnischen Zeit». Sie prägen sein Wirken, auch in seiner neuen Heimat, hier in der Schweiz.

Auf meine Frage «Wie würdest Du Frieden als Bild malen?» hat mir jemand zur Antwort gegeben: «Als eine weite, ruhige Ebene – ohne Menschen.» Jan Janczaks Bilder handeln von Menschen, weil es nicht darum geht, den Frieden zu malen, sondern den Frieden und als Bedingung mit ihm verbunden die Freiheit immer wieder neu zu gestalten. In dieser Verantwortung holt Jan Janczak seine Bilder aus seiner Seele. Dafür, lieber Jan, danken wir Dir und gratulieren zur Auszeichnung, welche Menschen anerkennt, die sich um den Frieden in der Welt verdient machen. Konfrontiert bereits als Junge mit einer «barbarischen Sache» betrachtest Du es als Deine Mission, dass die Würde des Menschen immer und überall nicht mit Stiefeln der Barbarei getreten wird.